Koran, al-Imran (Das Haus von Imran) 3,7
„Er ist es, der dir das Buch herabgesandt hat. Darin sind Verse, die ganz klar in ihrer Bedeutung und ihrem Inhalt sind und andere, die unterschiedlich zu deuten sind.“
Aus: Muhammad Asad; Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar
Er ist es, der dir von droben diese göttliche Schrift erteilt hat, Botschaften enthaltend, die klar in und durch sich selbst sind, – und diese sind die Essenz der göttlichen Schrift – wie auch andere, die allegorisch sind.* Nun gehen jene, deren Herzen zum Abweichen von der Wahrheit geneigt sind, demjenigen Teil der göttlichen Schrift nach,** der in allegorischer Weise ausgedrückt worden ist, suchen aus (was bestimmt) Verwirrung*** (erzeugt) und suchen seine endgültige Bedeutung (auf willkürliche Weise zu erlangen); aber keiner außer Gott kennt seine end gültige Bedeutung.**** Darum sagen jene, die tief im Wissen verwurzelt sind: »Wir glauben daran; das Ganze (der göttlichen Schrift) ist von unserem Erhalter – wiewohl sich dies keiner zu Herzen nimmt außer jenen, die mit Einsicht versehen sind.
* Die obige Passage kann als ein Schlüssel zum Verständnis des Qur’an betrachtet werden. Tabari identifiziert die ayatmuhkamat (»Botschaften, die klar in und durch sich selbst sind«) mit dem, was die Philologen und Juristen als nass bezeichnen – nämlich Vorschriften und Aussagen, die auf Grund ihres Wortlauts evident {zahir) sind (vgl. Lisan al-‘Arab, Artikel nass). Folglich betrachtet Tabari nur solche Aussagen oder Vorschriften des Qur’an, die nicht mehr als eine Interpretation zulassen (was natürlich Meinungsunterschiede hinsichtlich der Implikationen einer spezifischen aya muhkama nicht ausschließt), als ayat muhkamat. Meines Erachtens wäre es jedoch zu dogmatisch jede Passage des Qur’an, die nicht der obigen Definition entspricht, als mutaschabih (»allegorisch«) zu betrachten: denn es gibt viele Aussagen im Qur’an, die mehr als einer Interpretation fähig sind, aber gleichwohl nicht allegorisch sind – geradeso wie es viele Ausdrücke und Passagen gibt, die trotz ihrer allegorischen Formulierung dem gründlich forschenden Verstand nur eine mögliche Bedeutung offenbaren. Aus diesem Grund können die ayat mutaschabihat als jene Passagen des Qur’an definiert werden, die auf bildliche Weise ausgedrückt sind, mit einer Bedeutung, die metaphorisch impliziert, aber nicht unmittelbar, explizit dargelegt wird. Die ayat muhkamat werden als die »Essenz der göttlichen Schrift« (umm al-kitab} gekennzeichnet, weil sie die grundlegenden Prinzipien enthalten, die ihrer Botschaft und insbesondere ihren ethischen und sozialen Lehren zugrunde liegen: und nur auf der Grundlage dieser klar und deutlich ausgesprochenen Prinzipien können die allegorischen Passagen richtig interpretiert werden. (Für eine ausführliche Diskussion von Symbolik und Allegorie im Qur’an siehe Anhang l.)
** Wörtl.: »dem von ihm«.
*** Die hier genannte »Verwirrung« ist eine Folge der Interpretation allegorischer Passagen auf »willkürliche Weise« (Zamakhschari).
**** Den meisten frühen Kommentatoren zufolge bezieht sich dies auf die Interpretation von allegorischen Passagen, die von metaphysischen Themen handeln – zum Beispiel Gottes Attribute, die letzte Bedeutung von Zeit und Ewigkeit, die Auferstehung der Toten, der Tag des Gerichts, Paradies und Hölle, die Natur der als Engel bezeichneten Wesen oder Kräfte und so fort – all dies gehört in die Kategorie von al-ghayb, d. h. den Bereich der Wirklichkeit, der jenseits der Reichweite der menschlichen Wahrnehmung und Vorstellungskraft liegt und deshalb dem Menschen nicht anders als in allegorischen Begriffen vermittelt werden kann. Diese Sicht der klassischen Kommentatoren scheint jedoch nicht die vielen qur’anischen Passagen zu berücksichtigen, die nicht \/on metaphysischen Themen handeln und doch zweifellos nach Absicht und Ausdruck allegorisch sind. Meines Erachtens kann man nicht zu einem richtigen Verständnis der obigen Passage gelangen, ohne Wesen und Funktion der Allegorie als solcher die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Ein echte Allegone – im Gegensatz zu einer nur bildhaften Umschreibung von etwas, was ebenso gut direkt ausgedrückt werden könnte – dient immer dazu, auf bildliche Weise etwas auszudrücken, das seiner Komplexität wegen nicht angemessen mit direkten Begriffen oder Sätzen ausgedrückt werden kann und eben dieser besonderen Komplexität wegen nur intuitiv erfaßt werden kann, als ein allgemeines geistiges Bild und nicht als eine Reihe detaillierter »Aussagen«: und dies scheint die Bedeutung der Wendung zu sein »keiner außer Gott kennt seine endgültige Bedeutung«.
Aus; Max Henning; Der Koran
„Er ist’s, der auf dich herabsandte das Buch. In ihm sind evidente Verse, sie, die Mutter des Buches, und andre mehrdeutige. Diejenigen nun, in deren Herzen Neigung zum Irren ist, die folgen dem Mehrdeutigen in ihm, im Trachten nach Spaltung und im Trachten nach seiner Deutung. Seine Deutung weiß jedoch niemand als Allah. Und die Festen im Wissen sprechen: “Wir glauben es; alles ist von unserm Herrn.” Aber nur die Verständigen beherzigen es.“